Wurde vermutlich nie geschnitten – Apfelbaum, gesehen bei Tübingen. Foto: Baumpflege Tübingen, Rickmer Stohp
Meiner Einschätzung nach ist der hier gezeigte Apfelbaum seit seiner Pflanzung niemals geschnitten worden. Auf dem Foto sehr schön zu erkennen ist die Eigenart ungeschnittener Obstbäume, wie ein Busch zu wachsen. Ich finde, dieser Baum ist fast zu schön, um ihn zu schneiden.
Anders verhält es sich bei Bäumen, die vor vielen Jahren geschnitten wurden, dann aber, aus welchen Gründen auch immer, sich selbst überlassen wurden. Mit ihren kreuz und quer wachsenden Ästen, Angsttrieben, Wunden, Schädlingsbefall und viel zu kleinen Früchten bieten solche Obstbäume ein trauriges Bild. Solche Bäume findet man auf den Streuobstwiesen rund um Tübingen, Reutlingen, Rottenburg oder Herrenberg zuhauf.
Ein Trost: Selbst un- oder schlecht gepflegte Obstbäume können behutsam wieder in Form gebracht werden – mit der Betonung auf “behutsam”. Dazu an dieser Stelle ein paar Ratschläge und Hinweise.
Drei Grundregeln
Baumansprache
Bevor die eigentliche Schnittarbeit beginnt, wird der Baum “angesprochen”. Die Baumansprache bezeichnet keine esoterische Handlung, sondern ist ein Begriff aus der Baumpflege. Durch die Baumansprache macht sich der Baumpfleger ein Bild von der Vitalität, der Stabilität und der Nutzbarkeit des Baumes.
Die Vitalität des Baumes
zeigt sich am Verhältnis von Lang- zu Kurztrieben, d.h. von Triebholz zu Fruchtholz. Die Fähigkeit zur Wundheilung, sichtbare Pilzkörper sowie der Anteil von Totholz fließen in die Beurteilung mit ein.
Die Stabilität des Obstbaumes
ist eng mit der Lebenskraft verbunden. Astbrüche, Risse in Stamm und Ästen sowie Faulstellen sind auffällige Merkmale. Zusätzlich wird noch die Stellung des Stammes sowie der Äste (Drehwuchs, Zwieselbildung, Schlitzäste) und damit die Tragfähigkeit beurteilt.
Die Nutzbarkeit
Zunächst schaut sich der Baumpfleger nach geeigneten Einstiegsmöglichkeiten in den Baum um. Danach wird beurteilt, wo die Ertragszone liegt.
Lebensdauer alter Obstbäume verlängern
Nach der Baumansprache folgt die Bestimmung des Pflegezieles. In den seltensten Fällen bedeutet das, den Baum “in Würde sterben lassen”.
Meist lässt sich die Lebensdauer auch alter Bäume durchaus verlängern.
Das wird erreicht zum Beispiel durch diese Maßnahmen, die man im ersten Jahr durchführt:
In aller Regel reagiert der Baum hierauf mit starkem Austrieb junger Triebe, den der Baumpfleger im folgenden Sommerschnitt reguliert.
Im zweiten Winter kann schon an die Feinarbeit gegangen werden:
In den Folgejahren ist mit einem wesentlich geringeren Schnittaufwand zu rechnen.
Sicherheit oberstes Gebot
Bei allen Schnittmaßnahmen im Kronenbereich ist die eigene Sicherheit oberstes Gebot, vor allem auf Leitern. Für manche Einsätze lohnt sich die Anschaffung von Sägen und Scheren mit Verlängerung. Der Baumschnitt vom Boden aus ist zwar nicht so zielgenau, dafür aber sicher.
Oder man lässt die erste Kronenpflege von Baumpflegern mit Seilklettertechnik ausführen.